Regine Nahrwold am 5. Mai 2009
„Strictly Ballroom“ oder Das Körnchen Wahrheit im Klischee
Am Sonntag abend sah ich nach langer Zeit zum 2. Mal Strictly Ballroom (auf Arte), neben Rhythm is it und Carlos Sauras Carmen mein Lieblingstanzfilm, und muss sagen: Ich war wieder völlig hin und weg von den Songs und Tanzszenen, von der Ironie, dem Witz, der Komik, mit der Baz Luhrmann in diesem Film von 1992 die Welt des Turniertanzes als vom Ehrgeiz zerfressen, erfüllt von Neid, Missgunst, Lebenslügen und zuckersüßer Falschheit inszeniert hat. Die knallbunt aufgedonnerten Figuren sind so künstlich und „verbogen“, dass sie – vergleichbar der bösen Kunigunde in Kleists „Käthchen von Heilbronn“ – nur noch von Kostüm, Schminke und Haarspray zusammengehalten werden. („Von hinten Lyzeum – von vorne Museum!“ hätten wir als Kinder über Scotts Mutter – im Märchen der Typ böse Schwiegermutter – gesagt.) In dieser „unechten“ Fassung strahlt der „reine Diamant“, das heldenhafte Paar Scott (Paul Mercurio) und Fran (Tara Morice), natürlich umso heller.
Sie verkörpern die wahre Liebe, den Glauben an einander, ihre Ideale und daran, die feindliche Welt aus den Angeln heben zu können, wenn sie nur zusammenhalten und ihrem gemeinsamen Traum treu bleiben („Ein Leben in Angst ist ein nur halb gelebtes Leben“ lautet ihr Motto). Wie der schöne Scott das linkische, pickelige, übel bebrillte „Aschenputtel“ Fran notgedrungen zur Tanzpartnerin nimmt, dann langsam merkt, was in ihr steckt (die Latina nämlich, die sie der Herkunft und ihrem innersten Wesen nach ist), wie sie, angefeuert von ihren eigenen Erfolgen, beginnt sich zu verwandeln und er sich beim Training – auf dem Dach oder hinter den Kulissen – allmählich in sie verliebt: das ist einfach hinreißend und schlägt „Dirty Dancing“ von 1987 um Längen! Am tollsten finde ich die Szene, in der Frans Vater und ihre Großmutter – Hände auf Scotts Herz und Bauch! – ihm mal so richtig zeigen, wo in Sachen Paso Doble der Hammer hängt! Und erst das Finale: ein Feuerwerk aus Dramaturgie (man merkt, dass Luhrmann vom Theater kommt), Musik, Sound, Tanz, Licht, Kameraführung, Schnitt – berauschend! (Vor allem dort, wo sie ohne Musik trotzdem weitertanzen, nur dem Klatschen und Stampfen folgend – rhythm is it, yeah!)
„Strictly Ballroom“ ist der erste Film von Luhrmann’s „Red Curtain-Trilogy“, mit „Romeo und Julia“ als Herzstück in der Mitte und „Moulin Rouge“ als (ausgeflipptem) Schluss. Alle drei drehen sich theatralisch laut, bunt und mit viel Show á la Bollywood um die romantische Liebe. Pop at it’s best sind sie, weil sie es schaffen, das Körnchen Wahrheit zum Leuchten zu bringen, das – wie in jedem – auch in diesem Klischee steckt. Liegt’s vielleicht daran, dass die Liebespaare so wenig kitschig inszeniert sind wie ihre Umgebung maßlos schrill und verrückt? „Everybody’s free“ ist ihre Botschaft, Liebe und Leidenschaft gegen eine in toten Konventionen erstarrte Gesellschaft, die das Gefühl den falschen Göttern Ruhm, Ehre, Macht und Mammon opfert! In „Romeo und Julia“ machen’s natürlich die Shakespeare-Verse, und das süße Pärchen (Claire Danes und der blutjunge Leonardo di Caprio) gibt’s als Schlagsahne noch obendrauf auf die wilde, bunte Torte. Das Schöne an „Strictly Ballroom“: Dieses Liebespaar muss nicht erst sterben, damit die ehedem feindliche Welt bekehrt, gebessert und versöhnt bis auf den letzten Schuft zu seinen Füßen liegt. Nein – es darf leben und seinen triumphalen Sieg voll auskosten! (Und nach diesem Happy End wird wie „jewöhnlich abjeblendt„.)
Netter kleiner Gewinn am Rande: Ich wusste bis dato nicht, dass der Song „Perhaps, perhaps, perhaps“ ursprünglich von Doris Day gesungen wurde; so ist mir erst jetzt aufgegangen, welche Parodie auf die „älteste Jungfrau der Welt“ Pedro Almodovar geschaffen hat, als er in „La mala educacion“ dieses Lied einem wunderschönen Transvestiten mit blonder „Betonfrisur“ in den Mund legte – lasziver geht’s nämlich nicht!