Regine Nahrwold am 30. April 2008
„Warum Moderne in einem Museum für alte Kunst?“
Mit dieser Frage eröffnete Wulf Herzogenrath am 30. April die Ausstellung „Nolde bis Picasso“ im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig – und beantwortete sie in seinem Vortrag mit überzeugenden Beispielen der Verknüpfung beider Seiten in seinem eigenen Haus, der Kunsthalle Bremen. Die Ausstellung expressionistischer bzw. expressiver Graphik ist noch bis zum 6. Juli zu sehen. Sie umfasst Werke der „Brücke“-Künstler, von Kandinsky und Marc, von Chagall, Matisse und Picasso und reicht bis zu Arbeiten von Wolfgang Mattheuer und Maxim Kantor. Die Wandfarbe des Ausstellungs- raums, ein dunkel glühendes Orange, das auch den Grundton des Plakats bestimmt, harmoniert und kontrastiert vorzüglich mit dem klaren Schwarz-Weiß der Holzschnitte und den feinen Grautönen der Radierungen und Lithographien, mit dem warmen Holz der Rahmen und den Strukturen der Bütten- und Japanpapiere. Scheinwerfer, deren Lichtkegel mittels Blenden passgenau auf das Rahmenformat zugeschnitten sind, lassen die Blätter wie von selbst aus dem Dunkel hervorleuchten.
Die 100 Exponate gehören zu einer Sammlung, die ein hiesiger Kunstliebhaber und Mäzen dem Museum als großherzige Schenkung überlassen hat. Bereits 2003 war es dem Leiter des Kupferstichkabinetts, Thomas Döring, gelungen, die Sammlung Künstler sehen sich selbst. Graphische Selbstbildnisse des 20. Jahrhunderts um bedeutende Neuerwerbungen zu erweitern. War jene 1997 durch eine Auswahl von 100 „Highlights“ in der Ausstellung Ansichten vom Ich präsentiert worden, so wurden diese 2004 unter dem Titel Neue Ansichten vom Ich gezeigt. In dieser hand-, herz- und kopfverlesenen Auswahl von Zeichnungen und Druckgraphiken sind Namen wie Giacometti, Dine, Hamilton, Warhol, Lassnig, Tucholski, Tadeusz und Zimmer vertreten.
Schon Dörings Vorgänger, Christian von Heusinger, hatte das Kupferstichkabinett im Herzog Anton Ulrich-Museum mit seinen überwiegend vom Barock geprägten Sammlungen zu dem Raum erklärt, an dem auch moderne und zeitgenössische Kunst ihren Ort hatte, sowohl in der Sammlung als auch mit Sonderausstellungen. (Darin kann man durchaus auch eine Art Wiedergutmachung sehen für das Unrecht, das die Nationalsozialisten der Moderne angetan haben.) In der Ausstellung der kostbarsten Handzeichnungen des Kupferstichkabinetts, mit der sich von Heusinger 1993 aus seinem Amt verabschiedete, war eine Tuschzeichnung von Antonius Höckelmann das jüngste Werk. Mit der großen Sammlung graphischer Selbstbildnisse – sie umfasst 895 Blätter von u.a. Munch, Cézanne, Hodler über Corinth, Liebermann, Kollwitz, Höch, Dix, Grosz und sämtliche Brücke-Künstler bis hin zu Picasso, Hockney, Warhol, Beuys – gelangte dann erstmals ein ganzes, sehr umfangreiches Konvolut an Graphik des 20. Jahrhunderts ins Haus.
Und nun also zum 3. Mal eine Neuerwerbung aus dem Bereich der klassischen Moderne – welch ein Glück, welch eine Bereicherung für das Museum und seine Besucher, für die Kunstfreunde dieser Stadt! Denn Vergangenheit und Gegenwart, alte und neue Kunst gehören zusammen – sei es im Kontinuum der Fortsetzung, sei es in einem spannungsvollen Ineinanderblenden beider, sei es in der Differenz jenes Bruchs mit der Tradition, der ein Kennzeichen der Moderne ist.