Regine Nahrwold am 2. November 2015:
Literaturnacht: Clemens J. Setz
„Ich sehe Sie kaum, die Erde könnte unbewohnt sein, wie es in Becketts ‚Krapps letztes Band‘ heißt.“ Ins Licht blinzelnd begrüßt Clemens Setz die Gäste der „Langen Nacht der Literatur“ am Samstag Abend, 31.10.2016, im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig. Gerade stand er noch, in einer weiten, grauen Kapuzenjacke, etwas scheu vorm Lesepult, doch jetzt ist das Publikum gewonnen. Aus seinem 1000 Seiten-Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ liest Setz einige herrlich schräge, aber auch melancholische „Schnipsel“. Die Protagonistin Natalie hat etliche abseitige Tics. So reibt sie gern ihre Haut und rollt die Hautflusen zu Kügelchen, die sie im Hohlraum einer Wäscheklammer aufbewahrt. („Stellen Sie sich das vor: Ganze Städte könnte man aus diesem Material bauen!“) Sie nimmt ihre Essgeräusche mit dem iPhone auf, streunt nachts umher und probiert an Männern Porno-Sätze aus. Sie macht sich Gedanken über die vermissten Tiere, die per Anschlag an den Bäumen gesucht werden, darunter ein sanftmütiger, zierlicher Hase – niemand anders als der Autor Clemens (sanftmütig) Setz (das kroatische Wort für Hase). Natalie drückt auch bei sich selbst und anderen gerne Mitesser aus – eine Sucht, der der Autor selbst verfallen war. „Ja, wir können schließlich nicht alles selber machen! Wir können uns auch nicht selbst die Ellenbogen lecken. Das war wahrscheinlich die Erfindung des Sozialismus: ‚Kommt, lasst uns einander die Ellenbogen lecken!’“
Foto: Thomas Blume