16. März 2022
Ausstellung: PreisträgerInnen der Villa Romana im Kunstverein Braunschweig
Den jungen Mann hätte man früher einen „Wilden“ oder „Primitiven“ genannt. Der Indigene, eine aus Holz geschnittene Silhouette, steht mit zwei ähnlichen Figuren in der Rotunde des Salve Hospes, in deren Wandnischen klassizistische Statuen Platz gefunden haben. Dieser aus dem Geiste des antiken Griechenland geborenen europäischen Kunst erklärt der Indigene gewissermaßen den Krieg, denn hinter ihm ragen nicht nur weitere Arme und Beine hervor, sondern auch Gewehre; ihre Anordnung erinnert an Leonardos „Vitruvianischen Menschen“. Neben ihm eine asiatische „Genossin“ in traditionellem Kleid und Kopfschmuck und – einer Granate in jeder Hand. Eine – ziemlich plakative – Kampfansage auf der ganzen Linie!
Die drei Figuren hat die Amerikanerin Rajkamal Kahlon (geb. 1974) geschaffen, die Malerei, Zeichnung und Collage als künstlerischen Widerstand gegen den Kolonialismus und seine Ausläufer einsetzt. Sie gehört zu jenen zwölf Künstlerinnen, die in den vergangenen drei Jahren den Preis der Villa Romana in Florenz erhielten und, zusammen mit einem Art Research Fellowship Gastkünstler, ihre Arbeiten nun im Kunstverein Braunschweig ausstellen. (Der Villa Romana-Preis ist der älteste deutsche Kunstpreis. Seit 1905 wird er jährlich an vier junge Künstler verliehen. Er ist mit einem mehrmonatigen Arbeitsaufenthalt im Künstlerhaus Villa Romana, einem freien Atelier sowie einem monatlichen Stipendium verbunden.) Ihre Werke sind ein vielfältiger Medienmix aus Malerei, Zeichnung, Skulpturalem, Installation und Video, viele von ihnen illustrieren aktuelle politische Diskussionen.
Mit dem Kolonialismus und seinem Erbe hat sich auch die Chilenin Marcela Moraga (geb. 1975) beschäftigt. Ihre Videoinstallation behandelt den Genozid an den indigenen Völkern in Feuerland. Ausgangspunkt für Moragas Recherche war die Sammlung des ersten anthropologischen Museums Italiens in Florenz sowie ein Buch des Museumsgründers, das im Video aufgeblättert wird. Auf dem Audiokanal hört man dazu den Bericht eines deutschen Missionars über jenen Genozid. Auf einem weiteren Monitor sind Aufnahmen von Michelangelos David im Wechsel mit solchen von der Statue eines indigenen Jungen aus dem Florentiner Museum zu sehen; beide Skulpturen begegnen sich auf Augenhöhe. Diese Inhaltsbeschreibung mag sich dröge lesen – die Arbeit selbst ist es keineswegs, sondern hat auch eine überzeugende ästhetische Form angenommen.
Das deutsche Künstlerinnen-Duo Lydia Hamann und Kaj Osteroth (geb. 1977 und 1979) zeigt im Medium der Malerei auf, dass nur ein winziger Bruchteil der Werke in den Uffizien und in der Berliner Gemäldegalerie von Frauen stammen – inzwischen eine Binsenweisheit. Diesen Ausnahmen sind die Bilderserien, „Glamshot Firenze“ und „Glamshot Berlin“ gewidmet, die – gekonnt und hübsch anzusehen – Ausschnitte aus Gemälden berühmter Malerinnen von der Renaissance bis zum Klassizismus kopieren oder zitieren.