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14. Juni 2018

Festival Theaterformen: Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs

Theaterstück von Milo Rau, Aufführung an der SCHAUBÜHNE/ Berlin/Januar 2016

Die Bühne: ein Müllhaufen, links ein Art Zeugenstand. Hier nimmt zunächst Consolate Sipérius Platz und erzählt, wie sie als Vierjährige in Burundi die Ermordung ihrer Eltern mit ansehen musste, bevor sie durch Vermittlung einer Firma – lauter afrikanische Kinder zum Aussuchen in einem IKEA-Katalog! – von einem belgischen Ehepaar adoptiert wurde. Dann Auftritt Ursina Lardi. Mit dem Foto des ertrunkenen syrischen Jungen Aylan – „Man kennt es, ohne es gesehen zu haben“ – beginnt sie ihren großen Monolog in „Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs“. Interviews mit NGO-Mitarbeitern und die Biografien der beiden Schauspielerinnen hat Autor und Regisseur Milo Rau in diesem Stück verarbeitet. Lardis Gesicht schwebt, von der Kamera in Echtzeit aufgenommen, über ihr auf einem großen Bildschirm. Ihr subtiles Spiel, ihre nuancenreiche Mimik erleben wir genau so wie die Schreckensbilder aus aller Welt: indirekt, medial vermittelt. Sie spielt die Hauptdarstellerin des Stücks; bei den Recherchen dafür, in europäischen Flüchtlingscamps und in Afrika, werden Erinnerungen an die zwei Jahre wach, die sie als Lehramtsstudentin im Kongo verbracht hat, zur Zeit des Völkermordes im benachbarten Ruanda. Was und wie sie erzählt – da stehen einem die Haare zu Berge: Im Kongo erlebte sie, welche Macht man dort als Weiße hat. „Das war schon mal eine sehr positive Erfahrung.“ Tausend NGO`s hätten sich um die Hutu-Flüchtlinge aus Ruanda, darunter die Schlächter, gestritten, das war schließlich ihr Absatzmarkt. Einen Mann kaufte sie für 950 Dollar frei und rettete ihm das Leben, aber als sie ihn Jahre später bei einem Galadinner wiedertrifft, kann der sich doch nicht mal mehr an diese Summe erinnern! Einen Workshop zur Friedenserziehung musste sie geben, unbedarft wie sie war: „Ich hatte bisher nur Kinder unterrichtet, und nun auf einmal Kongolesen!“ Unter die Haut geht der unerträglich laut anschwellende langsame Satz aus Beethovens 7. Sinfonie, in den sie vor Todesschreien flüchtete; ihre Katzen mochten diese ihre Lieblingsmusik, ja letztlich sogar ihre afrikanischen Freunde!

Theaterstück von Milo Rau, Aufführung an der SCHAUBÜHNE/ Berlin/Januar 2016

Lardis Reden strotzen nur so vor Arroganz, Selbstgefälligkeit und rassistischen Ressentiments. Und hält sie uns damit nicht den Spiegel vor, uns saturierten Wohlstandsbürger mit den Luxusproblemen, die wir es, ach, so gut meinen mit den Benachteiligten dieser Erde und doch nur helfen wollen? Aber unser Lebensstil, unsere Politik und Wirtschaft verursachen deren Probleme. „Am Ende sind alle nur Arschlöcher“ bilanziert Lardi. „ Am Ende kommt es darauf an, wer die Maschinengewehre hat.“ Mitleid kann sie nicht empfinden: „Hier zu weinen wäre wirklich das Allerletzte.“ Nach und nach offenbart sie, was sich als Trauma und Alptraum unter ihrem Zynismus verbirgt: Sie wurde gezwungen, eine kongolesische Freundin zu demütigen, auf sie zu urinieren.

Das Stück ist auch eine Reflexion über das Theater: Lardi ist eine Ödipus-Figur, die eigentlich das Gute will und dabei doch Schuld auf sich lädt. Und das Theater schlägt Kapital aus dem Leiden anderer, seien es die Flüchtlinge, die Juden oder die Gestalten der griechischen Tragödie. Durch Einbeziehung zweier Filme, Lars von Triers „Dogville“ und Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“, thematisiert Milo Rau auch die Möglichkeit der Rache der Opfer. Ein grandioser, ein erschütternder Theaterabend.

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11. Juni 2018

Ausstellung „Doing Things with Words“ im Kunstverein Braunschweig

Zu sehen gibt es in der Rotunde des „Salve Hospes“ nichts. Das Entrée in die neue Ausstellung des Kunstvereins, „Doing Things with Words“ kommt rein akustisch daher: Zu hören ist ein halblaut gemurmelter Monolog von Hanne Lippard (geb. 1984 in Großbritannien), die Sätze über Sprache in Bezug auf den eigenen Körper vor sich hin träumt. Fast alle Arbeiten der Ausstellung, einer Kooperation mit dem Festival „Theaterformen“, beschäftigen sich mit Sprache und Kommunikation. Ach, Ihr Bildenden Künstler, warum haltet Ihr Euch nicht an das Sichtbare? Doch die Grenzen zwischen den Kunstgattungen sind längst aufgelöst, und jetzt gibt’s mal wieder mehr für’s Ohr und für den Kopf als für’s Auge…

Lippard Serie „ahem“ besteht aus weißen Seidentüchern, bedruckt mit Silben, Lauten, Worten; sie schweben hauchzart und lichtdurchflutet vor den Fenstern. Das sieht sehr schön aus und ist diesen flüchtigen Sprachpartikeln angemessen. Christian Falsnaes (geb. 1980 in Kopenhagen) hat mit „First“ eine Studio-Situation installiert: Ein schwarzer Vorhang wird zur Bühne für den ersten Besucher jedes Tages, der sich hier vor einer Kamera produzieren und für 15 Minuten ein Star sein darf. Feiko Beckers Performances und Videos drehen sich um Gespräche und Möglichkeiten des Missverstehens; Dialogpartner sind er selbst und ein Freund, beide in (ebenfalls ausgestellten) Kostümen, die an die russische Avantgarde des 20. Jahrhunderts erinnern.

Kurze Phrasen wie LIKE, HEAR, ME, NO TIME, TO KNOW sind auf bunten Fahnen, Elementen einer Installation von Hassan Khan (geb. 1975 in London), zu lesen. Auch er ringt um Sprache in dem unscharfen Moment kurz vorm Bewusstwerden, versucht, etwas zu greifen, was sofort wieder entrinnt. Das wird in dem provisorischen Charakter des leichten Gebildes aus Holz, Keramik, Stahl, Glas, Textil und Licht anschaulich.

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10. Juni 2018

Ausstellung „Glazed Rhythms“ im Kunstverein Wolfenbüttel

Ein Kristall funkelt aus nächtlichem Dunkel hervor, das Licht spielt gleißend auf seinen Zacken, die in alle Richtungen schießen. „Glazed Rhythms“, verglaste Rythmen – der Titel dieses Fotos, bildet auch die Überschrift über der Ausstellung seiner Schöpferin Johanna Daab im Kunstverein Wolfenbüttel. Ein Foto? Man zögert, die Arbeit so zu nennen, obwohl sie mit der Kamera entstanden ist. Denn das Abbilden der Realität, zumindest das Gegenüber eines realen Motivs, ist zwar nicht mehr ein unabdingbares, aber noch immer ein wesentliches Moment dieser künstlerischen Technik, die in Sachen Naturnachahmung seit ihrer Erfindung Anfang des 19. Jahrhunderts der Malerei den Rang ablief. Doch was hier aufgenommen wurde, ist nicht mehr erkennbar. Und es ist auch nicht mehr wichtig, so sehr wurden hier ein reales Objekt transformiert und schwebt nun im geheimnisvollen Zwischenreich zwischen Tag und Traum. Andere Bilder zeigen leuchtende, von einem Planetenreigen umkreiste Rauten, seltsame, tierisch anmutende Wesen, wolkig-blumige oder technoide Formen.

Johanna Daab (geb. 1978) arbeitet ausschließlich in Schwarzweiß mit einer analogen Kamera, entwickelt ihre Filme selbst und stellt die Abzüge im eigenen Fotolabor her. Aber was besagen da schon die nüchternen Begriffe „entwickeln“ und „abziehen“? Jeder Abzug ist das Ergebnis eines komplexen, langen und langsamen Prozesses und als solches ein unwiederholbares Unikat. Daab ist eine Alchimistin, die mit Licht, Film, Barytpapier und Chemikalien Verwandlung bewirkt. „Flash of appearence“ oder „rising star“ heißen zwei andere Aufnahmen. Lichtphänomene und die Weite des Weltalls klingen in diesen Titeln und den Bildern selbst an, auch Bewegung und Musik meint man zu vernehmen. Erinnerungen an experimentelle, surrealistische Bildwelten zu Anfang des 20. Jahrhunderts werden wach.

Die Fotoarbeiten in unterschiedlichsten Formaten sind auf türkisgrünen Wänden sehr sparsam gehängt, denn die Künstlerin wünscht sich, dass jede einzelne Raum für sich gewinnt und der Betrachter sie in Muße und Konzentration auf sich wirken lässt. So setzen ihre Aufnahmen auch Kontrapunkte gegen unsere beschleunigte Gegenwart und die heutige Überschwemmung mit digitalen Bildern.

Ihr Studium an der HBK Braunschweig hat Daab 2014 als Meisterschülerin von Dörte Eißfeldt abgeschlossen. Sie ist dieser Professorin dankbar, die ihren Studierenden alle Freiheit zur Entfaltung gelassen hat. Auch das hervorragend ausgestattete Fotolabor damals und die Fachleute, die mit Anregungen und Know how zur Seite standen, lobt sie sehr. „Wie toll das war, wurde mir erst richtig bewusst, als ich mein eigenes Labor eingerichtet habe.“ Längst ist sie selbst eine Meisterin ihres Fachs geworden und eine Künstlerin ganz im Sinne der Definition von Karl Kraus: „Nur der ist ein Künstler, der es versteht, aus seiner Lösung ein Rätsel zu machen.“

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2. Juni 2018

Ausstellung „Ohne Etikett fühle ich mich freier…“ im Herzog Anton Ulrich-Museum

Foto: Claus Cordes. Frei zur Veröffentlichung bei Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig.

„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“. Dieser Satz könnte als Motto über der Ausstellung stehen, die in der Reihe „Intervention – Raum für junge Kunst“ soeben im Herzog Anton Ulrich-Museum eröffnet wurde. Präsentiert werden Arbeiten aus der Sammlung Reydan Weiss. Die in Istanbul geborene Sammlerin wuchs in Jordanien sowie Jerusalem auf, studierte in Deutschland und lebt heute in Neuseeland, Deutschland und der Türkei. Aus ihrer Biographie resultiert ein grenzüberschreitender Blick für Kunst, der sich in Erwerbungen namhafter Künstler wie Cindy Sherman und Gerhard Richter spiegelt sowie in neuen Werken aus Kuba, Chile oder Australien und den verschiedensten Kunstgattungen. Aus 850 Arbeiten von rund 150 Künstlern hat Kurator Sven Nommensen für die Ausstellung „Ohne Etikett fühle ich mich freier…“ Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Objekte und ein Video von sechzehn Künstlern ausgewählt. All diese Werke weisen einen engen Bezug zu Kunstkammer-Objekten des Museums auf und drehen sich um das Thema Tod und Vergänglichkeit. Und: Die meisten von ihnen sind so kunstvoll, dass man sagen kann, sie vollenden, was die Natur begann.

Foto: Claus Cordes. Frei zur Veröffentlichung bei Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig.

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25. Mai 2018

Guido Knopp mit „Meine Geschichte“ in der Buchhandlung Graff

Was hat man „Mister History“ nicht alles vorgeworfen: Ungenauigkeit, Stümperei, Populismus, Doku-, Histo-, ja Hitlertainment und sogar „Geschichtspornografie“. Die Historiker der akademischen Zunft rümpfen die Nase über Guido Knopp, den Oberlehrer für Geschichte im Deutschen Fernsehen. In der Tat: Differenzierung ist seine Sache nicht, er ist ein großer Vereinfacher, der mehr Antworten gibt als er Fragen stellt. Welcher ernsthafte Historiker würde sich je anmaßen, vollmundig „Die Wahrheit über Auschwitz“ zu verkünden? Knopp hat es getan. Viel Unseriöses ist ihm, vor allem seinen Sendungen zum Nationalsozialismus, anzukreiden: die Fixierung auf Hitler, die willkürliche Auswahl und Zusammenstellung historischer Filmszenen, die pathetische Sprache der Kommentare, die emotional aufgeladene Musik, die Dämonisierung der Nazigrößen, die nachträgliche Kolorierung historischer Fotos und die von ihm eingeführten „szenischen Zitate“, von Schauspielern nachgestellte historische Szenen. Dies alles zielt mehr darauf ab, die Zuschauer in den Bann einer spannenden Story zu ziehen, als auf Aufklärung und kritische Distanz. Doch anzuerkennen ist auch: Knopp erreichte mit seinen Produktionen zur besten Sendezeit ein Millionenpublikum, viele seiner Bücher wurden Bestseller. Die „tageszeitung“ konstatierte anlässlich seines 70. Geburtstags die Schlichtheit seiner Botschaften: Nazis, Antisemi­tismus, Holocaust, eine Mauer zwischen Staaten bauen – alles schlecht. „Aber kann es – wenn man sich mal umschaut – eigentlich genug Leute geben, die diese simplen Botschaften den Menschen in die Hirne hämmern?“ (taz vom 29. 1. 2018) weiter…

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17. Mai 2018

Ausstellung „Credo. Lebensentwürfe“ von Klaus G. Kohn in der Brüdernkirche

Blick in die Ausstellung ‚Credo‘ im Kreuzgang der Brüdernkirche.

Die robuste Frau in mit Stickern übersäter Jeansweste, mit Cap und blaugelbem Schal –  der Eintracht-Fan. Die alten Damen in Dunkelblau, mit weißem Kragen und Häubchen, das Kreuz auf der Brust – die Diakonissen. Die Männer in schwarzer Lederkleidung, einander zärtlich zugewandt – zwei Schwule. Der Bärtige im blütenweißen Gewand, mit der Taqiyah auf dem Kopf – der Imam.

Das Mädchen mit schwarzer Lockenperücke im rosa Prinzessinenkleid – die Cosplayerin. Der junge Mann mit nacktem, von Muskeln nur so strotzendem Oberkörper – der Bodybuilder.

Diese sowie elf weitere Portraits sind in der Ausstellung „Credo. Lebensentwürfe“ des Braunschweiger Fotografen Klaus G. Kohn im Kreuzgang der Brüdernkirche zu sehen. Dunkel ist es hier, denn die auf einen besonderen, lichtdurchlässigen Stoff abgezogenen Farbaufnahmen sind in die verschlossenen Fenster des Kreuzgangs hineinmontiert. Von hinten angestrahlt, scheinen die großen (2,70 x 2 m), weit oben angebrachten Fotografien aus sich selbst heraus in großer Farbintensität zu leuchten, gewinnen eine starke Präsens. Mit ihrer Aura von Licht erinnern sie an die Glasfenster einer gotischen Kathedrale. Schon beim Betreten des Kreuzgangs ist man von dieser Präsentation sofort gebannt. Doch keine Heiligen haben hier Platz gefunden, sondern Menschen von heute, Individuen, die vor der Kamera posieren in einer Aufmachung, die sie als Ausdruck ihrer Identität, ihres Lebensentwurfs verstehen. Zugleich repräsentieren sie als Typen verschiedene Facetten unserer pluralistischen Gesellschaft, zumal Namen und weitere Informationen zu den Personen fehlen. Das Zeitgenössisch-Gegenwärtige ihrer Erscheinung bildet einen reizvollen Kontrast zur umgebenden mittelalterlichen, sakralen Architektur.

Der Künstler hat für die Aufnahmen bestimmte Parameter festgelegt: Format, schwarzer Hintergrund, Halbfigur in Frontale oder Dreiviertelansicht – das alles bleibt über die ganze Serie hinweg unverändert. In diesem strengen Rahmen aber entfaltet sich eine faszinierende lebendige Vielfalt an Gesichtern, Outfits und persönlichem Habitus – ein bewährtes Prinzip, das bereits in den 1920er Jahren in den Berufsbildern von August Sander oder später in Bildnissen von Richard Avedon zu finden und heute allgegenwärtig ist.

Doch wie steht es um den Titel der Ausstellung? Verkörpern all diese Menschen bzw. ihre Portraits wirklich ein Glaubensbekenntnis, wie es das Wort „Credo“ nahe legt? Den Diakonissen, dem Prior eines Klosters, dem Imam, auch den Freimaurern nimmt man ab, dass sie ihr Leben in den Dienst einer umfassenden, höheren Idee gestellt haben. Die Rocker, die Betreiberinnen eines Tattoo-Studios, der Punker und das Mitglied einer schlagenden Verbindung in vollem Wichs dagegen vertreten wohl eher eine sehr spezielle, extreme Vorliebe, eine Gruppenzugehörigkeit oder gar Ideologie als einen Lebensentwurf. Doch vielleicht ist ja gerade das ein typisches Phänomen unserer Gegenwart: dass – wie es der Veranstalter, die Landeskirche Braunschweig, im Folder zur Ausstellung formuliert – die in der Reformation gründende Freiheit des Einzelnen heute viele Gesichter hat, individuelle Biographien ermöglicht und von allen gleichermaßen Toleranz erfordert?  (Bis 14. Juni, Kreuzgang der Brüdernkirche, Schützenstr. 22, Öffnungszeiten: Di-So, 13-19 Uhr)

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9. Mai 2018

Buchvorstellung „Narrenbäume“ von Wilhelm W. Reinke bei Graff

„Wer einen Baum pflanzt, wird den Himmel gewinnen“ soll Konfuzius einst gesagt haben. Wie wahr dieser Satz ist, zeigt das Buch „Narrenbäume“ von Wilhelm W. Reinke, das dieser am Donnerstag Abend in der Buchhandlung Graff vorstellte: 75 Bäume samt Himmel darüber hat der Braunschweiger Fotograf in fünf Jahren in aller Welt gewonnen: beeindruckende Schwarzweißaufnahmen von knorzigen deutschen Eichen und 2500 Jahre alten sardischen Oliven, italienischen Zypressen, spanischen Pinien, balinesischen Mangroven, kalifornischen Riesenmammutbäumen und madegassischen Baobabs, von denen die Legende besagt, Gott habe sie verkehrt herum in die Erde gesteckt. Ob kahl, belaubt oder in voller Blütenpracht – sie alle sind gewaltige, ja Ehrfurcht gebietende Lebewesen. „Narrenbäume“ hat Reinke sie genannt, nach einem Bild aus dem 15. Jahrhundert, wo die Narren von den Bäumen geschüttelt werden. Der Narr – sowohl der Törichte als auch der Hofnarr, der unbequeme Wahrheiten ausspricht – das ist natürlich der Mensch, der seit Jahrhunderten „den Ast absägt, auf dem er sitzt, um daraus einen Stuhl anzufertigen“. Und so hat Reinke ihn in seine Bilder einbezogen in Gestalt von Akten, die mit den Bäumen agieren. Das ist nicht immer ganz gelungen, vor allem dort nicht, wo sich schöne, junge Frauen in etwas gestellten, zu erotisch anmutenden Posen in die Natur drapieren. Anrührend ist es aber immer da, wo die Menschen in kreatürlicher Nacktheit verletzlich und Schutz suchend wirken, sich an einen Ast  anschmiegen oder in einen hohlen Stamm hineinkauern. Und wenn sie in der umgebenden Natur klein und gering erscheinen wie in einem barocken Landschaftsgemälde des Holländers Jacob van Ruisdael, etwa auf dem Titelbild des Buches: Dort stehen Mann und Frau wie Adam und Eva winzig unter einem riesigen, uralten Drachenbaum auf Teneriffa, geborgen in einer kosmischen Natur, die wir seit langem gnadenlos zerstören.

Reinke sprach vor allem vom „Making of“ des Buches. Seine Fotoausrüstung bestand aus Polaroid, Handy, Kleinbild- und Mittelformatkamera, letztere – für die Hauptaufnahmen – erzeugt Bilder von 28 Millionen Pixeln. Fotografiert wurde – nach langer, intensiver Vorarbeit – mit dem Studioblitzgerät stets am frühen Morgen, denn er wollte Lichtflecken im Bild unbedingt vermeiden. Das hieß: in der Dämmerung blieben für die Aufnahme nur die fünf bis zehn Minuten kurz vor  Sonnenaufgang. Das Scharfstellen im Dunkeln war dabei die größte Herausforderung. Seinen Vortrag würzte der Künstler mit zahlreichen Anekdoten von den Störfaktoren. Abgesehen von Kälte, Regen und Mücken waren das etwa andere Frühaufsteher, die verwundert fragten, ob hier ein Pornofilm gedreht wird, oder, auf Bali, Affen, die von den höchsten Wipfeln fröhlich ihren Kot fallen ließen. Bereits ausgewählte Bäume waren inzwischen gefällt oder plötzlich von Wasser umgeben. Modelle erkrankten oder plumpsten vom Baum herab mitten in die Brennnesseln. Zwischendurch rezitierte Reinke Baum-Gedichte von Goethe, Hebbel, von Arnim, Rilke, Fontane und Brecht. Das ergab eine Spanne vom Trivialsten bis hinauf zum Kunstschönen – sehr unterhaltsam. In diesem Jahr sind die „Narrenbäume“ in Leipzig und Berlin zu sehen. Auf die Ausstellung 2019 in der Prüsse-Stifung und im Schulgarten am Dowesee in Braunschweig können wir uns freuen!

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4. April 2018

Ausstellung „Immer dienstags ist Treffen zum Aktzeichnen“ im Torhaus des Botanischen Gartens

Werner Krämer

„Immer dienstags ist Treffen zum Aktzeichnen“, und zwar im Atelier des Malers und Graphikers Manfred Fischer für eine Gruppe von kunstbegeisterten Freunden, die aus verschiedensten Gründen gerne zeichnen. Künstler und Kunsterzieher sind dabei, Architekten, Lehrer und eine Reqisiteurin am Staatstheater. Seit zehn Jahren existiert die Gruppe, einige sind schon sehr lange dabei, andere erst ein halbes Jahr. Nun zeigen sie eine kleine Auswahl ihrer Ergebnisse im Torhaus des Botanischen Gartens.

Das Aktzeichnen wurde in der Renaissance „erfunden“, als die Künstler, inspiriert von der wieder aufgefundenen antiken Skulptur, die Schönheit des nackten menschlichen Körpers entdeckten. Das Studium der Anatomie und das Zeichnen der menschlichen Gestalt diente damals der Vorbereitung von Gemälden, vor allem von Historienbildern. Ihre Figuren sollten „richtig“ sein und lebensecht ihre Rolle im dramatischen Geschehen „spielen“, um die Herzen der Betrachter zu rühren. Um 1900 etwa wurde der Akt schließlich zu einer autonomen Bildgattung.

Rainer Nötzold

Welch faszinierende Vielfalt auf diesem Gebiet möglich ist, das ist in der Ausstellung auf das Schönste zu erleben: mit Bleistift, Kreide, Rötel, Tusche und Aquarell, auf großen Bogen Papier oder in kleinen Skizzenbüchern, stehend, sitzend, liegend, nackt oder bekleidet – die menschliche Gestalt ist ein unerschöpflicher Gegenstand. Ebenso weit gefasst sind die Möglichkeiten der Zeichenweise und der künstlerischen Auffassung: Eine naturalistische Rötel-Studie von Rainer Nötzold umreisst mit Linien unterschiedlicher Strichstärke und kräftigen Schaffuren sehr plastisch den fülligen Körper einer Frau. Helge Karnagel dagegen spinnt die Figur mal in ein feines Liniennetz ein, das sie fast überwuchert; dann wieder tritt sie aus einem das ganze Blatt überspannenden Gewebe von Farbflecken heraus.

Christina Kersten

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27. März 2018

Ausstellung „Curiositá“ von Anja Schindler im BBK Braunschweig

Die ganze Welt ist himmelblau! Nun, vielleicht nicht die ganze, doch das Kunsthaus des BBK ist momentan in diese Farbe getaucht. Hier finden sich Naturgegenstände wie getrocknete Früchte, Blüten, Kapseln, Schoten, Eier, Erbsen, ein Fischskelett und ein mumifizierter Frosch, aber auch vom Menschen Ge­schaffenes wie Nudeln, Seife oder Schriftrollen. Das Meiste davon cyanblau bemalt, in Gläsern und Flaschen in Öl konserviert und präsen­tiert in Schau­kästen und Regalen, auf Tischen, Sockeln und Stellagen, ja sogar in Vogelkäfigen und einem Schrank.

Die an der Mosel lebende Künstlerin Anja Schindler (geboren 1963) hat mehrere Jahre mit ihrer Familie in Italien verbracht. Inspiriert von der dortigen traditionellen Art des Einmachens, begann sie, Fundstücke in Öl zu konservieren. Seitdem entstehen Installationen, Archive, die um den Zusammenhang von Natur, Kultur und Geschichte kreisen. So enthält besagter Schrank – zum Thema „Frauenzimmer“ – Blumen als Hervorbringungen der Mutter Erde und Flaschen mit Radierun­gen von Formen, die unter anderem an einen Embryo im Mutterleib erinnern. Die organischen Strukturen hat die Künstlerin mit genähten Linien verstärkt, die losen Enden der Fäden bewegen sich wie Tentakel in der Flüssigkeit – Symbole für die Fähigkeit, Verbin­dungen zu spinnen und knüpfen; dazu verweisen Stopfpilze und ein Holz zum Aufwickeln einer Wäscheleine auf früher typisch weibliche Arbeiten mit einem Faden.

Eine andere Arbeit geht von einem Gemälde von Marten van Heemskerck (1498-1574) aus. Es the­matisiert die Ver­gänglichkeit alles Irdischen in Gestalt eines kleines Kindes, das schlafend unter dem Spruch „nascendo morimur“ liegt („Kaum geboren, sterben wir schon“). Über ihre Re­cherchen zu Mo­tiv, Thema und Ikonographie des Bildes hat Schindler ein Künstler­buch verfasst. Dazu entstand ein Regal mit einer Stu­fenfolge von Dingen des Lebens, von der Kindheit über das Alter und die geistige Quintes­senz bis zum Tod, den drei Tierschä­del mit mächtigem Geweih symbolisieren. Ein Schrein wiederum mit Mitbringseln wie Wüs­tensand, Blumen, Weihrauch, Myrrhe sowie einer Schlange und Chamäleons aus eigenem Bestand ging aus einer Ägyptenreise hervor.

„Curiositá“ ist der Titel der Ausstellung, das heißt: Neugier, Sehens­würdigkeit. Damit knüpft Schindler an die fürstlichen Kunst- und Wunderkam­mern des 16. und 17. Jahrhunderts an. In ihnen wurden bestaunenswerte Dinge aller Art gesammelt mit dem Anspruch, ein Abbild der Welt darzustellen und Kunst, Natur, Wissenschaft zu einer Einheit verschmelzen.

Und die Farbe Blau? Sie ist die Farbe des Himmels, der Ferne und der blauen Blume der Romantik, die im Zeitalter der Industrialisierung sehn-süchtig nach der ganzheitlichen Ein­heit des Wissens und der Welt suchte. Die Natur galt dem romantischen Forscher, so Novalis, als „selbständiger Gesprächspartner“, dem er zuhört, den er „vernimmt“ im Sinne des an­dächtigen Lauschens einer fremden Sprache. Die Kunst von Anja Schindler lehrt uns dieses Lauschen wieder, ein Lauschen mit den Au­gen, das uns staunen lässt im Sinne der Natur als Lehrmeisterin für die Kunst. (Bis 22.4., Kunsthaus des BBK, Humboldtstraße 34, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 15-18 Uhr, Sonntag 11-17 Uhr, an Feiertagen geschlossen)

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8. März 2018

„Utz, der Unglücksritter“ im Figurentheater Fadenschein

„Bedenke, dass es manchmal ein großes Glück ist, das nicht zu bekommen, was Du Dir am meisten wünschst!“ Diesen Rat des Dalai Lama für das dritte Jahrtausend kann Ritter Utz im Mittelalter natürlich noch nicht kennen. Und so ist er „Utz, der Unglücksritter“: immerzu vom Pech verfolgt, hat er noch keine der drei großen Ritterpflichten erfüllt: einen Schatz finden, einen Drachen töten und eine Prinzessin befreien. Von der großen Ritterrunde ist er darum ausgeschlossen, dort machen sich schon alle über ihn lustig.

Die Abenteuer des Unglücksritters konnte man am letzten Wochenende mit Matthias Träger aus Klotten an der Mosel und seinem Puppentheater „Tearticolo“ im Figurentheater Fadenschein erleben. So frustriert ist Utz, dass er seine Tage schlafend in der Hängematte verdöst, mit Helm und in seiner Rüstung (Konservendose). So kann es doch nicht ewig weitergehen! Und so beschließt er eines Tages doch noch, in die Welt hinauszuziehen. Sein Pferd Roswita (eine Art Motorroller mit einem hölzernen Schuhlöffel als Kopf) möchte zwar lieber zu Hause, bei seinen leckeren Mohrrüben bleiben, aber Utz kennt kein Pardon: Angetrieben von einer ratternden Nähmaschine setzen Ross und Reiter sich in Trab, hinein in den dunklen Wald. Und tatsächlich findet Utz dort seinen Schatz, muss jedoch erleben, wie dieser ihm erst von einem Raubritter (Hand im Handschuh), dann vom Drachen Güldenzahn (diverse Küchengeräte) gestohlen wird. Wenigsten frisst der den bösen Raubritter zur Strafe auf! Doch: Schatz futsch, Drache lebt immer noch – da bleibt nur noch die Prinzessin (Hand im feinen Kleid). Und tatsächlich findet Utz eine, die ihn aus ihren Turmzimmer um Hilfe anfleht. Alle Treppen muss er hochstapfen und die Jammernde herunterschleppen. Die ist ganz schön zickig, will vor allem Schokolade haben, findet ihren Retter blöd und lässt sich lieber von einem anderen auf dessen Burg entführen. Aber es gibt ja noch die Zofe (Puppe). Die freut sich, dass sie die Prinzessin endlich los ist und ist ganz begeistert von Utz, ihrem „Heldenritter“, der nur noch nicht gemerkt hat, wieviel Glück er eigentlich die ganze Zeit hatte: hätte er den Schatz behalten, hätte ihn der Drache verschlungen, hätte er die Prinzessin geheiratet, hätte die ihn nur gepiesackt! So aber bekommt er eine Burg, ein liebendes Weib, und die verlorene Roswita stellt sich, von Möhren herbeigelockt, auch wieder ein – Ende gut, alles gut!

Kunstvoll zieht Matthias Träger, der das Stück entwickelt sowie alle Puppen und Requisiten selbst geschaffen hat, alle Register (Bühnenbild: Anja Schindler). Er setzt nicht nur Figuren, Wälder und Burgen in Bewegung, sondern veranschaulicht zwischendurch auch als Erzähler Teile der Geschichte an Bildtafeln. Er macht mit Stimme und diversen Instrumenten die lustigsten Geräusche, singt, bläst in den Dudelsack und lässt diesen zum Erstaunen der Kinder ganz allein spielen. Und die sind Feuer und Flamme! Da der Spieler sie immer etwas mehr sehen und vorausahnen lässt als die Hauptfigur, sind sie eifrig mit Tips und Ratschlägen zur Stelle. Ein zauberhaftes Märchen voller Phantasie und Witz, nicht nur für die Kleinsten!

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