Regine Nahrwold am 3. September 2025
„Klein Kurt und die Schildkröte Erna“ wieder am Staatstheater Braunschweig
Wünsche und Feisel – sie in Knallgelb, er in Himmelblau – stehen in einer Landschaft aus braunen Karton-Wolken, an deren Ränder bunte Lämpchen leuchten. „Es war einmal…“ sprechen sie ihr junges Publikum an – die Zauberformel, mit der jedes Märchen beginnt. Doch halt, es fehlt noch was! Die beiden holen sechs Musiker herbei, von denen jeder mit seinen Instrumenten ein eigenes Wolkenpodest erklimmt: Schlagzeug und Vibraphon, Klarinette und Fagott, Posaune, E-Piano, Kontrabass und Gitarre. Es wird angestimmt, und nun kann es losgehen: „Es war einmal – ein Stadtpark.“ Dort treffen sich jeden Morgen die Schildkröte Erna und Klein Kurt, der ihr von seinen Träumen erzählt. Doch heute lässt der sonst so pünktliche Klein Kurt auf sich warten. Sein Haus ist nämlich geschrumpft, er steckt darin fest und trägt es auf dem Rücken wie eine Schnecke – der Beginn eines ganz besonderen Tages, des Andersherumtags nämlich. Und der wird Klein Kurt, der mit Brille und zugeknöpftem Anzug sehr korrekt ausschaut, ganz schön aus seiner geschätzten Routine herauskatapultieren: „Meine Hände steck ich in Socken, haha, alles und alles ist verkehrt /meine Hose trag ich als Schal, haha, alles und alles ist verkehrt! /… / Es muss nicht immer alles gleich sein an jedem Tag / manchmal tut es ganz gut, wenn was auf dem Kopf steht.“
„Andersherumtag“ gehört zu „Schmidtis Kinderliedern“ von denen die Regisseurin Roscha A. Säidow neun ausgesucht und mit einem Team von KünstlerInnen unter der musikalischen Leitung von Theatermusiker, Arrangeur und Kontrabassist Philipp Rohmer am Staatstheater Braunschweig zu einem Musiktheaterstück für Kinder ab fünf Jahren verknüpft hat. Am Andersherumtag passieren viele verrückte Dinge: In der Wolkenmaschine heißt es „SOS Maschine kaputt!“, denn sie hat ein Loch in der Leitung, so dass sich die Wolken verknoten. Bunte Seile spinnen ein Netz aus Wegen über die Bühne. Schildkröte Erna bekommt einen Brief und ihr Nicht-Geburtstag wird gefeiert, mit dem Lied von der Geduld („Jetzt! Gleich! Sofort! Ich kann nicht warten!“) und einem Blumentopf voller Glücksklee als Kuchen. Immer wieder finden Wünsche (Juliane Dennert, Sopran) und Feisel/Klein Kurt (Rainer Mesecke, Bass) auf der Bühne Zeichnungen zu den Liedern und hängen sie an den Seilen auf. Manche Songs sind lebhaft und fetzig, andere sanft („Ich bin leise“), wieder andere (zu) erzieherisch („Wir trennen Müll“); einer zählt jenseits von Vater-Mutter-Kind die vielen Formen von Familie auf, die heute möglich und wirklich sind. Dazu verändert sich immer wieder abwechslungsreich das Licht. Richtig toll wird es, wenn der fiese Wut-Miesling mit den Riesenhänden und seiner gewaltigen Visage hinter den Wolken auftaucht. Er stinkt und pupst laut bis nach Italien – das gibt kräftigen Applaus! Vom Leuchtturm kommt eine überdimensonale Postkarte angeschippert, und zum Schluss geht es auf große Fahrt mit dem Piratenschiff: „Piraten haben keine Angst vor nichts und niemand / Sie lachen laut und scherzen. / Sie tanzen mit Walen und schwingen die Säbel / und trotzen jedem Sturm.“Auch davon zeigten sich Kinder und Erwachsene begeistert.
Musikalisch stark, und schön dort, wo phantasievoll mit einfachen Mitteln gearbeitet wird. Im Großen und Ganzen etwas zu brav und blass, die Kinder werden zu wenig angesprochen und zum Mitmachen angeregt. Die Rezensentin sehnte sich nach Pippi Langstrumpf, dem Gripstheater und der Sesamstraße zurück (und Sie können nun abschätzen, wie alt sie etwa ist). Das komplette Team wurde am Schluss mit Beifall überschüttet.
Nächste Vorstellungen am 7., 10. und 11. Oktober 2025